Neukodifizierung des tschechischen Zivilrechtes

Historische Reform in der Tschechischen Republik
Nach langjährigen legislativen Vorarbeiten ist mit Wirkung vom 01.01.2014 das Zivilrecht der Tschechischen Republik grundlegend geändert worden. Unter anderem ist auch das Gesetz Nr. 89/2012, das neue „Bürgerliche Gesetzbuch“, in Kraft getreten.

Ohne Zweifel handelt es sich um die größte Rechtsreform seit vielen Jahrzehnten.
Mehr als 200 Gesetze wurden aufgehoben oder geändert; darunter auch das bisherige Bürgerliche Gesetzbuch Nr. 40/1964 Slg., das Handelsgesetzbuch Nr. 513/1991 Slg. oder das Familiengesetz Nr. 94/1963. Slg. Darüber hinaus sind viele neue wesentliche Gesetze in Kraft getreten, z.B. das Gesetz Nr. 256/2013 Slg. (Katastergesetz), das Gesetz Nr. 90/2012 Slg. (Gesetz über Handelskörperschaften), das Gesetz Nr. 91/2012 Slg. (Gesetz über das internationale Privatrecht) und das Gesetz Nr. 304/2013 Slg. (Gesetz über die öffentlichen Register juristischer und natürlicher Personen).

Einführung neuer rechtlicher Prinzipien
Die umfangreichen Änderungen sind für alle Rechtsunterworfenen von Bedeutung und betreffen eine Vielzahl von Bereichen. Wesentliche Absicht des Gesetzgebers war, im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage vor allem das Prinzip der Vertragsfreiheit zu stärken. Außerdem wurden vertragliche und gesetzliche Haftungsprinzipien verschiedenster Art verschärft.

Rechte und Pflichten natürlicher Personen
Die Rechte und Pflichten natürlicher Personen wurden in Form zahlreicher umfangreicher Änderungen modifiziert, so z.B. insbesondere im Erbrecht, im Familienrecht, im Vermögensrecht zwischen Ehegatten und im Wohnungsrecht (inklusive Mietrecht).

In Zusammenhang mit der Neuregelung des Ersatzes von Schäden aus Körperverletzungen kam es etwa zu einer flächendeckenden Erhöhung des Schmerzengeldes sowie zu einer prinzipiellen Änderung der Methodik, nach der die Kompensation für einen immateriellen Schaden berechnet wird.

Immobilienrecht
Auch im Immobilienrecht wurden gänzlich neue Prinzipien in das tschechische Rechtssystem integriert. So kam es zur Wiedereinführung des Grundsatzes, dass ein Gebäude Bestandteil des Grundstücks ist, auf dem es errichtet ist („superficies solo cedit“). Bisher war es in der Tschechischen Republik möglich, das Eigentum am Grundstück vom Eigentum am Gebäude zu trennen; vor diesem Hintergrund wurden bei unterschiedlichen Eigentümern automatisch gesetzliche Vorkaufsrechte eingeräumt.

Entsprechende Änderungen werden bei den Eintragungen im Immobilienkataster berücksichtigt. Durch das neue Katastergesetz wurden die Aufgaben dieses Katasters gestärkt. Eintragungen im Immobilienkataster sollen künftig nicht ohne Weiteres anfechtbar sein; zudem gilt der Grundsatz,, dass ein in das Immobilienkataster eingetragenes Recht mit dem tatsächlichen rechtlichen Stand übereinstimmt („Prinzip der materiellen Publizität“).

Handelsrecht
Von besonderer Bedeutung sind die Änderungen im Handelsrecht. Das bisherige Handelsgesetzbuch Nr. 513/1991 Slg., das insbesondere das Gesellschaftsrecht und Obligationsrecht (Schuldrecht) in handelsrechtlichen Verhältnissen geregelt hat, wurde aufgehoben. Damit wurde die in der Praxis problematische Dualität zwischen dem Obligationsrecht (einschließlich des Vertragsrechtes) für Kaufleute (Unternehmer, Gesellschaften) und jenem für Private beseitigt.

Seit 01.01.2014 gelten in diesem Bereich für alle Rechtssubjekte also dieselben Regelungen. Im Rahmen des neuen „Bürgerlichen Gesetzbuches“ wurden etwa die bisherigen uneinheitlichen Bestimmungen über den Vertragsabschluss, über den Rücktritt vom Vertrag, über die Verjährung oder über die Haftung für Schäden in diesem Sinn vereinheitlicht.

Verbraucherrechte sind - mit geringeren Modifizierungen - im Wesentlichen unberührt geblieben.

Gesellschaftsrecht
Das Gesellschaftsrecht ist nunmehr im Gesetz über Handelskörperschaften geregelt.

Alle Unternehmen wurden dazu verpflichtet, ihre Gesellschaftsdokumente bis 30.06.2014 an die Erfordernisse des neuen Gesetzes anzupassen und diese in der gerichtlichen Urkundensammlung zu hinterlegen. Viele Firmen sind dieser Anforderung allerdings noch nicht nachgekommen.

Darüber hinaus gelten für die statutarischen Organe von Handelskörperschaften strengere Haftungsregeln.

Fazit
Ziel der Neukodifizierung war, einen modernen Zivilrechtskodex zu schaffen, der die aktuellen gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Tschechischen Republik widerspiegelt.

Vor diesem Hintergrund erachten wir die umfassende Reform des tschechischen Zivilrechts jedenfalls für gerechtfertigt. Trotz der langjährigen legislativen Vorarbeiten erscheinen uns die neuen Regelungen allerdings vielfach mangelhaft.

Die Neuregelung von zahlreichen Rechtsverhältnissen ist alles andere als eindeutig und lässt erwarten, dass Zweifel über die Auslegung von Gesetzen erst durch die Gerichte geklärt werden können. Damit ist eine Flut von Prozessen wahrscheinlich, die Teil der Rechtsentwicklung sein werden.

Auch der Regelungsinhalt mancher Normen überrascht: So beinhaltet das neue Bürgerliche Gesetzbuch z.B. die Regelung von durchaus kuriosen und in der Praxis selten vorkommenden Rechtsverhältnissen, behandelt aber wesentliche Themen wie z.B. das Internetrecht nur minimal.

Derartige vielfach geäußerten Vorbehalte sind bereits Anlass für eine erste „Novelle der Novelle“. Ein Team von Fachleuten im Justizministerium arbeitet bereits an der Beseitigung wesentlicher Mängel der neuen Gesetze. Nach aktuellen Informationen darf eine umfangreiche Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches bereits für das Jahr 2016 erwartet werden.

Autorin: Eva Scheinherrová (Prag, Tschechien)